Samstag, 28. Juli 2007

Reinhard Stoppe und Norbert Fleischer

In der Galerie vom Zufall und vom Glück vom 28.6. bis 01.08.2007


Rezension von Flaneur


Zunächst mal zum Publikum: Es ist doch erstaunlich und beruhigend zugleich, dass sich das Eröffnungspublikum der Galerien Hannovers voneinander unterscheidet. Natürlich trifft man immer wieder auf bekannte Gesichter. Aber es gibt zum Glück immer wieder neue Damen und Herren beim Kunstgenuss zu begutachten. Ein Beweis dafür, dass der Kreis Hannovers Kunstinteressierter so klein doch nicht sein kann.

Die aktuelle Ausstellung in der „Galerie vom Zufall und vom Glück“ stellt die Werke zweier Künstler einander gegenüber. Warum nun gerade die Arbeiten dieser beider Künstler? Die doch offensichtlich so diametral verschieden sind?

Im Erdgeschoss die ungezähmtere Kunst von Norbert Fleischer: Skizzenhaft auf Leinwand Gemaltes. Kann man sie „Ölskizzen“ nennen? Das Charakteristische ist die Unmittelbarkeit dieser Kunst: aus dem Hirn mittels Hand und Pinsel direkt auf die Leinwand. Der Genius teilt sich ungebremst mit: Porträts, Figuratives, Organisches, an Exkremente Erinnerndes, Sprachfetzen, Sätze, Parolen... Ludwig Zerull verglich diese Kunst in seiner Eröffnungsrede – gar nicht abwertend gemeint – mit den Sprüchen auf öffentlichen Herrentoiletten.

Der Kontrast wartet im Untergeschoss. Reinhard Stoppe malt Muster. Und dies in einer Exaktheit, die weniger an Malerei denn an fabrikmäßig Gedrucktes denken lässt. Seine Motive entnimmt er der bunten Alltagswelt: Hemdenkaros, schottische Kilts, Marmeladendeckel, die Lego-Bauten seines Sohnes und – neuerdings – afrikanischer Musik, deren akustische Rhythmen er in optische zu übertragen versucht. Es scheint dies eine Kunst zu sein, die der Subjektivität des Künstlers gänzlich misstraut.

Donnerstag, 3. Mai 2007

Kunstausstellung - Hans-Peter Feldmann

Im Sprengel Museum Hannover vom 15.04. bis 22.07.2007

Rezension von Trainer

Locker, leicht und lächelnd

David oder Adam?Der erste Raum mit Werken von Feldmann wirkt sehr schlicht. Unterschiedlich kolorierte Bilder eines Berges auf der linken Seite. Verschiedene Landschaftsbilder auf der rechten Seite. Gleich links zwei Porträts in Öl, die wirken, als seien sie vom Flohmarkt, aber doch seltsam „falsch“ gemalt. „Warum soll das Kunst sein?“ habe ich mich da gefragt. Genau diese Frage habe ich mir auch bei den folgenden Räumen weiter gestellt und dabei dann festgestellt, dass Hans-Peter Feldmann genau dieses Hinterfragen unterstützen möchte. Es sind Werke, die wie Kunst funktionieren und die Kunst ironisieren, weil sie Bekanntes verwenden und gleichzeitig auf die Schippe nehmen.

Im zweiten Raum sind unter anderem Glasvitrinen zu sehen, die an Joseph Beuys’ Werke erinnern. Darin hat Feldmann viele kleine Gegenstände aufgereiht, die bei jedem Menschen Assoziationen hervorrufen, die aber so nicht im Kunstkontext verwendet werden: alte Sparbüchsen, Fernbedienungen, Kinderschuhe und vieles mehr. Beinahe jeder hat diese Dinge schon einmal in der Hand gehabt und verbindet eine Erinnerung damit.
Fotos von Kühlschränken und Bücherregalen machen neugierig, wie diese allseits bekannten Anblicke den oder die Besitzer charakterisieren könnten. Gesammelte, gefundene Fotos von Fußballern, Frauen etc. erinnern an die Bildatlanten von Aby Warburg und gleichzeitig an die Sammelleidenschaft von Kindern.

Im dritten Raum sind Bänke in einem abgedunkelten Raum aufgestellt und es wird ein Schattentheater gezeigt. Auf einem Tisch sind rotierende Scheiben nebenaneinander aufgestellt und auf diesen Drehtellern stehen Figuren. Die Figuren werden mit Scheinwerfern angestrahlt und werfen große Schatten an die Wand. Die Arbeitsweise von Fotografie und Film wird auf den Punkt gebracht und unterhaltsam umgesetzt. Es waren gerade zwei Familien mit kleinen Kindern mit mir im Raum und diese beobachteten mit großem Interesse die bewegten Schatten.

Der letzte Raum ist das fotografische Kabinett im Untergeschoss des Sprengel Museums. Dort zeigt Feldmann eine Reihe von Fotografien. Jedes Foto zeigt einen Menschen, der jeweils ein Jahr älter ist als der Mensch auf dem vorherigen Bild. So ist eine Fotoserie mit Menschen im Alter von 1 bis 100 entstanden. Für diese Werk werden Sponsoren gesucht. Jeder kann ein Foto für das Sprengel Museum erwerben und sein Name wird bei Präsentationen dieses Werkes zu lesen sein. Es erinnert vielleicht an eine Patenschaft für ein Zootier, aber es ist für diese Fotoserie eine gute und passende Idee.

Zur Ausstellung gibt es das Buch Nummer 9 von Hans-Peter Feldmann. Ebenfalls ein Kunstwerk das zum Nachdenken über Kunst anregt. Und hier liegt das Besondere: (neben der guten Kunst und der schönen Ausstellung) der Künstler möchte offenbar, dass sich das Publikum kritisch mit Kunst auseinandersetzt und hinterfragt, warum diese Werke im Museum ausgestellt werden. Im Gegensatz zu vielen Institutionen, die nur behaupten, dass es Kunst ist, weil ja schließlich auch hohe Preise dafür gezahlt werden, soll hier das Gezeigte hinterfragt werden.
Nach dieser Ausstellung werden die Werke von Beuys’, Vostell oder Roth in der Sammlung des Sprengel Museums mit etwas anderen Augen betrachtet. Sicherlich abhängig davon, ob dem Betrachter die Kunst von Feldmann gefällt.

Donnerstag, 19. April 2007

Preis des Kunstvereins Hannover 2004 - Stefan Jeep / Ho-Yeol Ryu

Im Kunstverein Hannover vom 14.04.2007 bis zum 13.05.2007

Rezension von flaneur:

Wunderkammer der Wahrnehmung

Ich blicke in das Fernglas – und sehe in mein eigenes Auge.
Ich betrachte das Karussell der Monitore – und entdecke mich selbst. Zeitverzögert. Durch den Raum schlendernd und dann die Monitore betrachtend.
Zwei Räume weiter: Ich durchmesse den Raum – und sehe mich plötzlich in eine Schafherde projiziert. Ich suche die Kamera. Ich gehe vor und zurück, beobachte mich. Erforsche, wie die Kamera mich ins Bild projiziert.

In einem anderen Teil der Ausstellung: Ich betrete den Saal und plötzlich – Applaus, begeistertes Klatschen, Pfiffe! Es kommt aus einem aus kleinen Boxen bestehenden Rondell, dass von der Decke abgehängt ist.
Im selben Saal hängen Hochglanzfotografien, die Realität ins Absurde verkehren: Ein riesiger Schwarm von Passagierflugzeugen, der auf dem Flughafen Hannover startet; Menschenmengen, die wie Lemminge und ohne entgegenkommendes Publikum dem hannoverschen Hauptbahnhof entströmen – und auf dem benachbarten Bild ihm ebenso zielstrebig zuströmen.

Auch in den nächsten Räumen spielt die Kunst mit den Lebenserfahrungen des Betrachters: Auf Fotografien und in Filmen fliegen Passagierflugzeuge im rasanten Formationsflug, schweben Tische, Stühle und Tassen samt Kaffee in die Höhe, steigt ein PKW wie ein Feuerwerkskörper auf und explodiert in farbigen Kaskaden.

Stefan Jeep und Ho-Yeol Ryu, die beiden Villa-Minimo-Stipendiaten des Kunstvereins Hannovers haben eine wahre Wunderkammer zusammen gestellt. In ihren interaktiven Arbeiten stellen sie den Betrachter in den Mittelpunkt. Sie animieren ihn zur (Selbst-)Wahrnehmung und (Selbst-)Reflexion im besten Sinne der Aufklärung. Ryu ergänzt diese Bespiegelungen um raffinierte Manipulationen der erfahrenen Realität. Verblüffend real wirken diese Fotoarbeiten, bevor sie sich auf den zweiten Blick als absurde Manipulation herausstellen und ein Lächeln auf das Gesicht des Betrachters zaubern.

Es ist ein Spiel mit den Realitäten und ihrer (unserer) Wahrnehmung, das die beiden jungen Künstler betreiben. Sie erzeugen eine Virtualität, die so perfekt ist, dass man sie als mögliche „alternative Realität“ gelten lassen möchte. Dabei lassen sie eine große Portion Humor und vielfaches Augenzwinkern einfließen. So viel, dass man fast nicht auf die Idee käme, man hätte es hier mit Kunst zu tun.

Das wäre dann auch die einzige kritische Anmerkung, die man machen könnte: Die Wunderkammer ist auch ein Rummelplatz. Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus und vergisst dabei beinahe, über das Gesehene zu reflektieren. Der Spaß an der Kunst droht, zum Selbstzweck zu werden. Andererseits: Ich verlasse die Ausstellung mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Was könnte schöner sein?


Anmerkungen von Trainer:

Für mich waren zwei Aspekte Ansporn, die Kunstwerke immer wieder zu betrachten und auszuprobieren: Der Reiz, selbst einen Einfluss auf die Darstellung zu nehmen und das Erforschen der Machart.

Zum ersten: immer mehr Menschen lieben offenbar die Möglichkeit, selbst in den Medien vertreten zu sein. Daraus erklärt sich vielleicht, warum das Internet so stark zur Veröffentlichung einzelner Meinungen - aber auch anderer Arbeitsergebnisse wie z. B. Fotos oder Videos - genutzt wird. (Hier sieht man ja auch das Beispiel „Blog“.) Gerade junge Leute mögen die alten Medien nicht mehr so nutzen wie noch ihre Eltern.
Die beiden Künstler dieser Ausstellung haben diesen Trend erkannt und Werke mit Möglichkeiten erstellt, Einfluss zu nehmen oder sich zu beteiligen.

Zum zweiten: In der Werbung sind oft die Anzeigen oder Kampagnen erfolgreich, bei denen sich die Betrachter fragen: „wie ist das gemacht?“ Es wird die Neugierde geweckt und der potentielle Konsument beschäftigt sich wie ein Detektiv mit der Sache. Schon hat man die Aufmerksamkeit und damit die Zeit der Menschen gewonnen. Die Künstler arbeiten in manchen Werken vergleichbar, indem sie mit aufwändigen, technischen Tricks den Betrachter zum Erforschen animieren oder ihn überraschen mit einem Geheimnis, das aufgedeckt werden möchte.

Sonntag, 11. März 2007

Gemälde und Zeichnungen - Julie Mehretu

Im Kunstverein Hannover vom 10.02.2007 bis zum 01.04.2007

Mailkommunikation zwischen Trainer und flaneur

Hallo, Herr flaneur,
da haben wir ja heute mal eine Ausstellung im Kunstverein gesehen, die nicht so eine große Menge Kunstwerke zeigte. Diesmal gab es sogar leere Wände in vielen Räumen. Nach den üppigen Ausstellungen in der Kestnergesellschaft und im Sprengelmuseum tat mir das ganz gut.

Ja, und diesmal gab es sogar Sitzgelegenheiten (in bewährtem einladenden und besucherfreundlichen Design), die zu eingehender Kontemplation ermunterten! (Ich finde, Herr Trainer, wir sollten in Zukunft auch mehr den Besucherservice thematisieren!)

Kunstverein Hannover EingangIch habe mir noch einmal meine Notizen angeschaut, die ich vor den Bildern von Julie Mehretu gemacht hatte und wollte mal wissen, was Sie darüber denken: Im ersten und letzten Raum Aquarelle auf Büttenpapier, die an Landschaftsfragmente denken lassen. Mit eigenem Duktus der Künstlerin gepinselt und gezeichnet, aber ich musste an Bilder von Wols denken.

Für meinen Geschmack die besten – weil authentischsten – Werke der ganzen Ausstellung. Intime, zart-verspielte Aquarelle/Zeichnungen, spontan und ohne viel konzeptuelle Überlegung aufs Blatt gehaucht!

Meine notierten Stichworte zu den weiteren Räumen: übermalte 3D-Architektur-Umrisszeichnungen, glatte Oberfläche, Konfetti-Konstruktivismus, Linien wie Stacheln, einheitliche Formensprache, Neutralität wie auf Euro-Geldscheinen, Tatlin-Turm.

Wobei diese großformatigen Arbeiten ja im Aufbau sehr kompliziert und generalstabsmäßig durchkomponiert sind: feine Strichzeichnungen, die Gebäude oder Gebäudefragmente wiedergeben. Darauf durchsichtige Folien, auf die wiederum Strichzeichnungen aufgelegt sind. Darüber dann bunte, exakt vermessene Formen, entweder einer vorgegebenen Form (z.B. Fahnen) nachempfunden, oder ohne Vorgabe eingesetzt (z.B. die „Konfettis“). Zudem kontrastieren die exakten Architekturzeichnungen mit den freieren Wirbeln, die an Tornados oder den „Tatlin-Turm“ erinnern. Es entsteht ein kontrastierendes Über- und Nebeneinander von Zeichnung und Form, Raum und Fläche, freier und exakter Zeichnung.

Auch wenn die Notizen nicht danach klingen, mir gefallen die Bilder. Die Kunst bedient sich der verschiedensten Elemente aus der Kunstgeschichte, aber die Künstlerin hat eine eigene Ausdruckmöglichkeit entwickelt, die mit Wiedererkennungseffekten arbeitet ohne langweilig zu sein. Durch das Schichten und Übereinanderlegen von vielen Strichen – teils mit Lineal gezogen, teils mit Schwung gezeichnet oder „geschrieben“ – konnte ich immer neue Anknüpfungen für Interpretationen und Gedankenspiele finden.

Meine Meinung: Kennste eins, kennste alle! Mir schien die Technik doch recht automatisiert zu sein. Spätestens nach Raum 3 gab es keine Überraschungen mehr.

Montag, 26. Februar 2007

Flow - Jochen Stenschke

In der Galerie Robert Drees vom 24.02.2007 bis zum 05.04.2007.

Rezension von flaneur:

Flow ist das englische Wort Fließen, Rinnen, Strömen.
Mehrere seiner neuen Bilder hat Jochen Stenschke so betitelt. Und es ist nicht verkehrt, dass er die gesamte Ausstellung unter dieses Motto stellt.

Denn nicht nur die Formen und Farben fließen in seinen Bildern. Offenbar fließen die inneren Bilder des Künstlers mittels Hand und Pinsel direkt auf die Leinwand. Es sind zumeist schwungvolle Linie und runde Formen, die große Harmonie ausstrahlen.

Was mir an den Bildern gefällt ist die Spannung zwischen Komposition und Intuition. Es ist die Leichtigkeit und das Experimentelle, das – bei aller überlegten Bildgestaltung – aus den Bildern spricht.

Besonders bemerkenswert: die Altölbilder. Das sind aus Altöl auf Papier gemalte Strukturen, die durch das Ausfließen der Ränder eine besondere Plastizität erhalten. Auch dies ein besonderer Flow der Ausstellung.

v-boom - raymond pettibon / bali - wolfgang tillmanns

In der Kestnergesellschaft vom 16.02.2007 bis zum 06.05.2007

Mailkommunikation zwischen flaneur und Trainer:

Hallo, Herr Trainer,
wie hat Ihnen denn die aktuelle Ausstellung in der Kestnergesellschaft gefallen,
die Doppelausstellung von Raymond Pettibon und Wolfgang Tillmans? Von Pettibon sind ja lediglich Unmengen kolorierter Zeichnungen zu sehen (wenn man mal von den zwei Animationsfilmchen absieht). Reichlich kryptisch, wenn Sie mich fragen. Die englischen Kommentare sind mit meinem Schulenglisch leider nicht zu verstehen. Können Sie mir das mal erklären?
Hallo, Herr flaneur,
viel zu erklären gibt es da wahrscheinlich nicht. Es ist doch eher ein Gesamtrauschen, ein anarchistisches Bilderkonzert in Punkmanier. Bei Pettibon bekommt die anarchische Jugendkultur der Punks Illustrationen geliefert…
Und Wolfgang Tillmanns? …bei Tillmanns erhält die lustbetonte Jugendkultur der Technoanhänger Wandschmuck oder Tischauslagen. Als Aushängeschilder der Jugendkulturen können die Künstler in ihrem Alter aber nicht mehr arbeiten. Vielleicht geben sie sich deshalb einen politischen / ernsthaften Anstrich.
Seine selbst redigierte Ausstellung ist im Obergeschoss zu sehen. Der interessantere Teil befindet sich in der größeren Halle. Auf vielen selbstgestalteten Tischen hat Tillmans Fotos mit Zeitungs- und Journalausschnitten kombiniert. Jeder Tisch zeigt ein anderes Thema. Das ist oberflächlich betrachtet recht kurzweilig. Aber es steckt ja bestimmt wieder mal viel mehr dahinter, woll? An dieser Stelle schon mal ein Vorwurf: Eine Möglichkeit, sich im Sitzen einen Blick über die Ausstellung schweifen zu lassen, wäre – auch für uns „junge 68er“ - nicht schlecht gewesen. Vielleicht auf selbstdesignten Bänken? (Zumal man ja von der Pettibon-Ausstellung schon etwas geschafft ist.)
Stimmt! Es ist mal wieder viel zu viel. Künstler könnten ihren Geschmack auch damit beweisen, dass sie für das Publikum die besten Sachen auswählen. Bei einer solchen Masse an Bildern und Fundstücken ist die Gesamtaussage so beliebig wie die falsch verstandene Postmoderne.
In der Punk-Ästhetik kenn ich mich einfach zu wenig aus – zumindest in den Bildwelten. Pettibon thematisiert ja eher Allerweltssujets in Comic-Ästhetik: die große Welle beim Surfen, auf den Betrachter zurasende Züge, Frauen, die mit Babys spielen... Und das in mehrfacher Ausfertigung und Variation. Meist in Tuschtechnik. Skizzenhaft. Unfertig, unvollendet. Und das soll Punk sein? Das Fragmentarische als Provokation? Die Motive erinnern ja eher an PopArt. Allerdings: Manche Kommentare, die ich doch verstehen kann, beinhalten ironische Gesellschaftskritik, wie z.B. der Spruch „Like the israelis we make bloom the desert“ unter einem in Aquarelltechnik gemalten amerikanischen Soldatenfriedhof.
Tillmans Ästhetik verstehe ich da schon eher. Wie soll man denn auch eine Auswahl treffen – in unserer Welt der Milliarden Bilder. Die Masse der ausgestellten Bilder entspricht eben diesem Dilemma. Einen ästhetischen Wandbehang für die Technik-Jünger, wie Sie es bezeichnen, vermag ich nicht zu erkennen. Eher drückt sein Bildauswahl den Versuch aus, in „dem Ganzen“ irgendeinen Sinn zu erkennen (oder ihm seinen persönlichen Sinn) zu verleihen.

Mittwoch, 10. Januar 2007

Zeitspuren - HAWOLI

In der Galerie Vom Zufall und vom Glück vom 1.1.2007 bis zum 4.2.2007

Kritik von flaneur:

Die Natur im Zeitalter ihrer technischen Realisierbarkeit.

Wer in Hannover kennt sie nicht, die drei roten, drehbaren „Schrauben“ auf dem Georgsplatz? Zu Beginn der 1970er Jahre wurde diese Arbeit des Bildhauers HAWOLI im Rahmen des „Straßenkunstprogramms“ der Stadt Hannover angekauft. Ganz anders als die kreischroten Kunststoffplastiken sind die neueren Arbeiten HAWOLIs beschaffen, die die Galerie vom Zufall und vom Glück zeigt.

„Zeitspuren“ nennt er seine aktuelle Ausstellung – und den Spuren der Zeit geht er mittels verschiedener Technik auf den Grund. Der Bildhauer HAWOLI bannt Steinbrüche mittels Fototechnik auf Büttenpapier. So erfasst er gleich mehrere „Zeitalter“: die im Stein enthaltenen Millionen Jahre Erdgeschichte, die von den Steinbrucharbeitern aufgewendete Bearbeitungszeit, die Belichtungszeit der Kamera und den Zeitaufwand für den künstlerischen Fotoabzug.

Aber nicht nur um die Zeit in ihren Ausprägungen und Erscheinungsformen geht es in dieser Ausstellung. Es geht auch um das Verhältnis von Kunst, Natur und Künstler. Denn scheinbar nachlässig hat HAWOLI den Pinselduktus vom Aufstreichen der Foto-Emulsion stehen lassen. So erhalten nicht nur die Fotografien eine malerische Note, der Künstler verewigt zudem seinen eigenen kreativen Akt und gibt so gewissermaßen zu verstehen, dass er nicht nur den Auslöser betätigt hat.

In der Nachfolge von Duchamp erklärt HAWOLI damit das Werk der Natur und der Steinbrucharbeiter zum eigentlichen Kunstwerk. Sich selbst nimmt er dabei jedoch nicht völlig zurück. Durch die besondere Technik – Fotoemulsion auf Bütten – schaltet sich der Künstler zwischen Objekt und Betrachter und macht damit das Artifizielle dieser Arbeiten deutlich.

Der Natur mit des Menschen Hilfe zur wahren Schönheit und Bestimmung zu verhelfen –diesen klassischen Kunst-, Kultur und Zivilisationsanspruch kritisiert HAWOLI mit leiser Ironie. Eine der wenigen in der Ausstellung gezeigten bildhauerischen Arbeiten, es handelt sich um eine von Korten-Stahl gerahmte Schieferplatte, trägt den Titel: „Die Natur im Zeitalter ihrer technischen Realisierbarkeit.“ Der Mensch realisiert die Natur. Und HAWOLI zeigt die unbeabsichtigte Schönheit dieses Prozesses. Denn die gezeigten Kunstwerke sind in erster Linie nichts anderes als Abfallprodukte der Steinbrucharbeiter. Erst im zweiten Schritt veredelt sie der Künstler qua Gestus. Zugegebenermaßen eindrucksvolle Abfallprodukte: Spuren gewaltiger Fresen in Abbruchkanten, geschichtete Basaltsäulen, gestapelte Steinblöcke... Ästhetik, die es lohnt, hervorgehoben zu werden.

Gleichwohl vermag HAWOLI es nicht, uns die auratische Ausstrahlung der Steinbruchwände zu vermitteln. Dazu sind Fotografien, worauf uns Walter Benjamin bereits hinwies, nicht in der Lage – auch die besonderen Bütten-Fotos HAWOLIs nicht.
Diesem Umstand trägt der Künstler Rechnung, in dem er uns leibhaftige Marmorplatten präsentiert. HAWOLI hat Marmorplatten zu zwei bildhauerischen Arbeiten aufgeschichtet und aufgestellt. Auch diese gewaltigen Steinplatten sind mittels Fotoemulsion mit Schwarzweiß-Fotografien versehen. Man erkennt auf der einen Arbeit eine amphibische Landschaft (Wattenmeer?), auf der anderen verschiedene Ansichten aus einem Steinbruch, u.a. den Abbau des Steins.

Mit diesen beiden Arbeiten weist uns der Künstler mit dem Zaunpfahl und etwas Effekt heischend auf seinen Anspruch hin, verschiedene „Zeitspuren“ aufgedeckt und erzeugt zu haben. Nicht nur die Foto-Emulsion ist hier etwas dick aufgetragen. Diese Arbeiten sollen uns Staunen machen, sie fordern unsere „Aha“-Rufe heraus. Der Bildhauer HAWOLI wollte es sich nicht nehmen lassen, einige „wirklich“ bildhauerische Arbeiten zu präsentieren. In ihrer Dominanz nehmen sie leider den zarten Fotoarbeiten die Luft zum atmen. Für diese Ausstellung hätte es weniger Stein vielleicht auch getan.

Kritik von Trainer:

Bereits in den Schaufenstern der Galerie sind große Farbfotos von Steinbrüchen zu sehen. Dieses Motiv zieht sich dann auch durch die gesamte Ausstellung. Die meisten Werke sind jedoch Fotos von Steinbrüchen in Graustufen oder in stärkeren schwarzweiß Kontrasten auf Büttenpapier. Der Künstler hat mit dem Pinsel die Chemikalien, die für eine Belichtung notwendig sind, auf Büttenpapier aufgetragen. Dadurch entsteht ein Eindruck zwischen Fotografie, Grafik und Malerei.
Eine dritte Werkgruppe sind Objekte beziehungsweise Plastiken, Schieferstücke von Stahlgestellen gehalten oder Marmorplatten. Die Marmorplatten sind teilweise ebenfalls mit Chemikalien behandelt und als Fotobildträger verwendet worden. So sind zum Beispiel bei einer Arbeit einige Marmorplatten hintereinander aufgereiht in einem Stahlgestell zu sehen. Auf den Marmorplatten ist mit Hilfe von schwarzweiß Fotografie abgebildet, woher die Marmorplatten stammen und wie sie aus dem Steinbruch herausgeholt wurden. Es ist in einer Reihung der Entstehungsprozess der Marmorplatten dokumentiert, die hier zu sehen sind. Die letzte Marmorplatte in der Reihe zeigt keine Abbildung. Das gesamte Objekt verweist damit auf sich selbst als Kunstwerk und gleichzeitig wird die Natur als Kunst präsentiert.
In dieser Arbeit wird deutlich, wie stark der Prozess für den Künstler im Vordergrund steht. Ein Prozess über eine lange Zeit sorgte dafür, dass Natursteine wie Schiefer und Marmor entstehen, und ein kreativer Prozess ist nötig, dass die Kunst entsteht, die hier von HAWOLI vorgestellt wird.

HAWOLI bringt die Prozesse der Natur mit den Herstellungsprozessen von Künstlern in Zusammenhang und stellt dabei die Technik heraus. Einerseits die künstlerische Technik, andererseits eine maschinelle Technik.
Für diese Kunst werden weniger die handwerklichen Fähigkeiten eines Menschen benötigt, wie zum Beispiel bei der Erstellung von Marmorskulpturen mit Meißel. Diese Werke erfordern die Kreativität eines Menschen und dann die Hilfe von Maschinen, die verwendet werden, um Stahl oder Marmorplatten zu erstellen. Weiterhin werden Chemikalien und Belichtungsapparate für den fotografischen Bildauftrag verwendet.

HAWOLI ist kein Konzeptkünstler. Das Material ist für ihn ein wichtiger Inhalt der Kunst und die Natur ist ein wiederkehrendes Thema in seinem Gesamtwerk. Deshalb könnte HAWOLI den Sparten Minimal Art oder Landart zugeordnet werden. Die Werke sind aber immer zwischen den verschiedenen Kunstrichtungen und deshalb nicht wirklich einzuordnen.
Die Arbeiten zeigen eine persönliche Handschrift. Er pinselt die lichtempfindlichen Chemikalien auf das Büttenpapier, er arbeitet mit unterschiedlichen Kontraststärken und Helligkeiten in den Fotografien und so entsteht je nach Betrachtungsweise der Eindruck, dass es sich hier um Malerei, Grafik, Zeichnung oder Fotografie handelt.

Auch im Außenraum sind Kunstwerke von HAWOLI zu finden, die aus verschiedenen Materialien entstanden sind: Eine große Gruppe von Werken besteht aus Stein und Stahl. Die maschinell erzeugten klaren Formen treten in Kontrast zu den natürlich entstandenen Oberflächenmustern und Abbruchkanten der Steine.
Eine weitere Werkgruppe besteht aus Kunststoff. So zum Beispiel die roten Polyestersäulen auf dem Georgsplatz Hannover (erstellt 1971). Hier kommt auch noch die Bewegung mit hinzu, da sich die Segmente der Säulen drehen lassen. Ein vielseitiger Künstler mit einem sensiblen Gespür für Material.

HAWOLI im Web