Preis des Kunstvereins Hannover 2004 - Stefan Jeep / Ho-Yeol Ryu
Im Kunstverein Hannover vom 14.04.2007 bis zum 13.05.2007
Rezension von flaneur:
Wunderkammer der Wahrnehmung
Ich blicke in das Fernglas – und sehe in mein eigenes Auge.
Ich betrachte das Karussell der Monitore – und entdecke mich selbst. Zeitverzögert. Durch den Raum schlendernd und dann die Monitore betrachtend.
Zwei Räume weiter: Ich durchmesse den Raum – und sehe mich plötzlich in eine Schafherde projiziert. Ich suche die Kamera. Ich gehe vor und zurück, beobachte mich. Erforsche, wie die Kamera mich ins Bild projiziert.
In einem anderen Teil der Ausstellung: Ich betrete den Saal und plötzlich – Applaus, begeistertes Klatschen, Pfiffe! Es kommt aus einem aus kleinen Boxen bestehenden Rondell, dass von der Decke abgehängt ist.
Im selben Saal hängen Hochglanzfotografien, die Realität ins Absurde verkehren: Ein riesiger Schwarm von Passagierflugzeugen, der auf dem Flughafen Hannover startet; Menschenmengen, die wie Lemminge und ohne entgegenkommendes Publikum dem hannoverschen Hauptbahnhof entströmen – und auf dem benachbarten Bild ihm ebenso zielstrebig zuströmen.
Auch in den nächsten Räumen spielt die Kunst mit den Lebenserfahrungen des Betrachters: Auf Fotografien und in Filmen fliegen Passagierflugzeuge im rasanten Formationsflug, schweben Tische, Stühle und Tassen samt Kaffee in die Höhe, steigt ein PKW wie ein Feuerwerkskörper auf und explodiert in farbigen Kaskaden.
Stefan Jeep und Ho-Yeol Ryu, die beiden Villa-Minimo-Stipendiaten des Kunstvereins Hannovers haben eine wahre Wunderkammer zusammen gestellt. In ihren interaktiven Arbeiten stellen sie den Betrachter in den Mittelpunkt. Sie animieren ihn zur (Selbst-)Wahrnehmung und (Selbst-)Reflexion im besten Sinne der Aufklärung. Ryu ergänzt diese Bespiegelungen um raffinierte Manipulationen der erfahrenen Realität. Verblüffend real wirken diese Fotoarbeiten, bevor sie sich auf den zweiten Blick als absurde Manipulation herausstellen und ein Lächeln auf das Gesicht des Betrachters zaubern.
Es ist ein Spiel mit den Realitäten und ihrer (unserer) Wahrnehmung, das die beiden jungen Künstler betreiben. Sie erzeugen eine Virtualität, die so perfekt ist, dass man sie als mögliche „alternative Realität“ gelten lassen möchte. Dabei lassen sie eine große Portion Humor und vielfaches Augenzwinkern einfließen. So viel, dass man fast nicht auf die Idee käme, man hätte es hier mit Kunst zu tun.
Das wäre dann auch die einzige kritische Anmerkung, die man machen könnte: Die Wunderkammer ist auch ein Rummelplatz. Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus und vergisst dabei beinahe, über das Gesehene zu reflektieren. Der Spaß an der Kunst droht, zum Selbstzweck zu werden. Andererseits: Ich verlasse die Ausstellung mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Was könnte schöner sein?
Anmerkungen von Trainer:
Für mich waren zwei Aspekte Ansporn, die Kunstwerke immer wieder zu betrachten und auszuprobieren: Der Reiz, selbst einen Einfluss auf die Darstellung zu nehmen und das Erforschen der Machart.
Zum ersten: immer mehr Menschen lieben offenbar die Möglichkeit, selbst in den Medien vertreten zu sein. Daraus erklärt sich vielleicht, warum das Internet so stark zur Veröffentlichung einzelner Meinungen - aber auch anderer Arbeitsergebnisse wie z. B. Fotos oder Videos - genutzt wird. (Hier sieht man ja auch das Beispiel „Blog“.) Gerade junge Leute mögen die alten Medien nicht mehr so nutzen wie noch ihre Eltern.
Die beiden Künstler dieser Ausstellung haben diesen Trend erkannt und Werke mit Möglichkeiten erstellt, Einfluss zu nehmen oder sich zu beteiligen.
Zum zweiten: In der Werbung sind oft die Anzeigen oder Kampagnen erfolgreich, bei denen sich die Betrachter fragen: „wie ist das gemacht?“ Es wird die Neugierde geweckt und der potentielle Konsument beschäftigt sich wie ein Detektiv mit der Sache. Schon hat man die Aufmerksamkeit und damit die Zeit der Menschen gewonnen. Die Künstler arbeiten in manchen Werken vergleichbar, indem sie mit aufwändigen, technischen Tricks den Betrachter zum Erforschen animieren oder ihn überraschen mit einem Geheimnis, das aufgedeckt werden möchte.
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